Die Halbzeitsirene ertönt, jetzt muss es schnell gehen. Stephan Klose schnappt sich die Scouting-Bögen und eilt los. Sein Ziel: die Plätze der anwesenden Journalisten. Jeder der Medienvertreter, die rings um das Spielfeld der Richard-Hartmann-Halle sitzen, erhält einen der Bögen und somit Auskunft über die Leistungsdaten aller Spieler. Soweit nicht ungewöhnlich, erst bei genauerem Hinsehen kommt man ins Stutzen.

Stephan ist bei seinem Rundgang stets in Begleitung. Eine Hand ruht permanent auf seiner Schulter, sie weist ihm den Weg – denn Stefan ist von Geburt an blind. Die Hand gehört seiner Freundin Jenifer Rhoden, die ihm nicht von der Seite weicht und ihn bei seiner Tätigkeit unterstützt. Sie bahnt Stephan den Weg durch die hektischen Spielertrauben und sagt ihm, ob er die Bögen richtig herum hält. Stephan bezeichnet sie liebevoll als sein „Auge“.

Der 35-Jährige wird bei der U20-Europameisterschaft in Chemnitz als ‚Media Runner‘ eingesetzt – und er ist begeistert. Zu seinen Aufgaben gehört es, nach jedem Viertel die Scouting-Bögen abzuholen, zu vervielfältigen und anschließend zu verteilen. Darüber hinaus richtet er den Medienraum her, sorgt für Wassernachschub und ist Ansprechpartner für alle Medienvertreter. Am ersten Tag habe er gefühlt hundert Mal das WLAN-Passwort herausgegeben, erzählt Stefan lachend.

Dass er jetzt ein Teil des Volunteer Teams ist, sei trotz seiner Einschränkung „ganz unkompliziert“ gewesen. Stephan, leidenschaftlicher Basketballfan und Unterstützer der NINERS aus Chemnitz, habe natürlich schnell mitbekommen, dass die U20-EM bei ihm vor Ort stattfindet und helfende Hände benötigt würden. Für ihn sei es „keine Frage“ gewesen, sich ebenfalls einzubringen zu wollen. Das „riesige Plus“: In Chemnitz sind ihm Umgebung, Wege und Hallen bekannt, sodass es keiner Neuorientierung bedurfte. 2004 war der gebürtige Neuklosteraner für seine Ausbildung – Stephan überträgt Schulungsunterlagen in Brailleschrift – nach Sachsen gekommen.

Nun füllte Stephan also schnell das Bewerbungsformular aus – „mit der heutigen PC-Software alles kein Problem mehr“ – , schickte es ab und wurde genommen! Nach einem Anruf bei Organisator Christian Vogel, den er persönlich kennt, sei schnell klar gewesen, dass sich eine Aufgabe finden lasse, die sinnvoll sei und für alle Seiten Mehrwert habe – das war Stephan besonders wichtig.

Seit Freitag ist er jetzt schon als ‚Media Runner‘ im Einsatz und wird das ganze Turnier über bleiben. Sein Tag beginnt meist gegen 12 Uhr, eine Stunde vor dem ersten Spiel des Tages, und endet gegen 22:30 Uhr, wenn das letzte Spiel vorbei ist. Die Zeit vergehe dabei wie im Flug. In Chemnitz sei es vor allem die „tolle Stimmung unter den Volunteers“, die ihn begeistere. Er sei herzlich aufgenommen worden, es gebe „keine Berührungsängste“.

Dieses freundliche Miteinander war es ursprünglich auch, weshalb Basketball zu ‚seiner‘ Sportart wurde. Die Atmosphäre und Stimmung seien einzigartig und ein „großes Plus gegenüber anderen Sportarten“. Während der Spielzeit 2013/2014 kam er dank einer Freikarte erstmals in die Halle der NINERS und war begeistert. Es ging gegen Göttingen, den damaligen Tabellenführer der Pro A, und es war ein ganz enges Spiel. Chemnitz gewann am Ende. Die Faszination Basketball hat Stephan seitdem nicht mehr losgelassen. Heute ist er „bei jedem Heimspiel und bei fast jedem Auswärtsspiel“. Doch damit nicht genug: Er ist fester Bestandteil der „Chemnitz Crew“, einem Fanclub der NINERS.

Die Basketballspiele verfolgt Stephan vor allem über sein geschultes Gehör. Das Dribbeln des Balles helfe bei der Orientierung. An der Reaktion der Fans erkenne er, ob ein Korb gefallen ist oder nicht. Besonders hilfreich sei auch der Hallensprecher: Dadurch sei klar, wer gepunktet oder gefoult hat. Besonders bei der U20-EM laufe das „perfekt“: Moritz, der Hallensprecher der Richard-Hartmann-Halle, liefere oft mehr als die grundlegenden Informationen. Wenn dann noch Fragen offen sind – beispielsweise, wenn die Zuschauer plötzlich zu pfeifen beginnen – , wendet sich Stephan an seine Freunde. Die schildern ihm dann detailliert die Geschehnisse und den Spielverlauf. In diesem Zusammenhang möchte Stephan nochmal auf ein „tolles Projekt“ verweisen, das Blinde noch näher ans Spielgeschehen bringt: Bei den NINERS wurden im vergangenen Jahr Kopfhörer verteilt, über die das Spiel kommentiert wurde – die perfekte Kombination aus Live-Emotionen und Informationen. So etwas wünscht sich Stephan häufiger für die Zukunft.

Auch für seine Zeit in Chemnitz hat Stephan noch einen Wunsch. Er, der bisher alle anderen 15 Mannschaften betreut hat, hofft noch darauf, den Gastgeber Deutschland live mitzuerleben. Der Titel wäre die Krönung.